Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall und Verstopfung zählen zu den typischen Symptomen einer Zöliakie – sind aber auch Beschwerden, durch die sich eine Gluten-/Weizensensitivität oder eine Weizenallergie bemerkbar machen können. Der Gastroenterologe Prof. Dr. Martin Storr vom Gesundheitszentrum Starnberger See erläutert im expert talk, welche Wege ärztlicherseits eingeschlagen werden können, um zu den unterschiedlichen Diagnosen zu gelangen – oder sie auszuschließen. Denn eine genaue Diagnostik ist die Voraussetzung für eine gezielte Therapie. Im Fall der Zöliakie bedeutet dies die konsequente Umstellung auf eine glutenfreie Diät.
Wie häufig werden Zöliakie, Gluten-/Weizen-Sensitivität und Weizenallergie diagnostiziert?
Zunächst ist es wichtig klarzustellen, dass Zöliakie, Gluten-/Weizen-Sensitivität und Weizenallergie zwar alle mit Getreide zu tun haben – sonst aber völlig unterschiedliche Erkrankungen sind. Die Zöliakie ist eine Autoimmunerkrankung gegenüber Getreidebestandteilen, hier insbesondere dem Gluten. Diese Erkrankung kennen wir sehr gut, können sie auch sehr gut diagnostizieren und wissen daher relativ genau, wie häufig die Erkrankung in der Bevölkerung vorkommt. Für Deutschland geht man davon aus, dass etwa einer von 100 Menschen von einer Zöliakie betroffen ist. Wir wissen auch, dass es Länder gibt, in denen diese Zahl etwas höher liegt und im Bereich von zwei oder drei von 100 auftreten kann. Von dieser Autoimmunkrankheit abzugrenzen ist die Weizenallergie. Hierbei handelt es sich um eine echte allergische Erkrankung, also eine Erkrankung, bei der man zunächst durch den Erstkontakt mit Weizen sensibilisiert wird und im Verlauf Antikörper gegen Weizenbestandteile bildet. Diese Antikörper kann man bei der Weizenallergie sehr gut im Blut messen. Allerdings wissen wir hier nicht so genau, wie viele Menschen in der Bevölkerung diese Erkrankung haben. Denn die Weizenallergie wird häufig gar nicht diagnostiziert, weil die Beschwerden variabel sind und bei vielen Betroffenen nicht so stark ausgeprägt, dass sie sich ärztlich untersuchen lassen. Schätzungen zufolge dürfte die Weizenallergie bei etwa 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung vorliegen. Die Gluten-/Weizensensitivität ist eine Art Sammeltopf, in dem sich all jene Menschen wiederfinden, die Beschwerden auf Weizenprodukte oder glutenhaltige Produkte entwickeln, ohne dass ärztlicherseits eine Zöliakie oder eine Weizenallergie diagnostiziert werden kann. Hier reagiert der Körper einfach sensitiv, also empfindlicher gegenüber diesen Nahrungsbestandteilen. Auch hier gibt es keine klaren Zahlen zur Häufigkeit, aber Schätzungen gehen davon aus, dass wir bei der Gluten-/Weizensensitivität im Bereich von fünf, wenn nicht sogar sieben Prozent der Bevölkerung liegen – und das ist schon ganz schön viel.
Welche Blutwerte können bestimmt werden, um einer Zöliakie auf die Spur zu kommen?
Um einer Zöliakie auf die Spur zu kommen, können im Blut Zöliakie-typische Auto-Antikörper nachgewiesen werden. Dabei handelt es sich um Antikörper, die sich gegen das körpereigene Dünndarmgewebe richten. Medizinisch gesprochen sind das die sogenannten Gewebstransglutaminase-Antikörper. Das sind Antikörper vom Typ IgA, also Immunglobulin-A. Üblicherweise wird auch der Gesamtwert der IgA mitbestimmt, weil es sehr selten auch Menschen gibt, die IgA überhaupt nicht bilden können. In solchen Fällen muss man die Zöliakie anderweitig überprüfen. Auch die Endomysium-IgA-Antikörper, abgekürzt EmA, können im Rahmen der Diagnostik hilfreich sein und zählen ebenfalls zu den wichtigsten Blutparametern, die bei Verdacht auf Zöliakie überprüft werden. Besteht ein hoher Verdacht auf Zöliakie, wird man auch den Eisen- und den Vitamin D-Status mitbestimmen, da es im Rahmen einer Zöliakie hier zu einem Mangel kommen kann. Die ärztliche Diagnostik kann hier sogar einen Hinweis darauf generieren, wie schwer die Erkrankung bereits ist. Interessanterweise ist es tatsächlich so, dass ein nicht unerheblicher Teil der Zöliakie Diagnosen über einen auffälligen Eisenmangel zustande kommt. Außerdem wird auch der Vitamin B12 Status regelmäßig mitbestimmt, da es bei der Zöliakie auch hier zu einem Mangel kommen kann.
Wozu wird im Rahmen der Zöliakie-Diagnostik eine Dünndarmbiopsie vorgenommen?
Die Dünndarmbiopsie ist im Rahmen der Zöliakie-Diagnostik sehr wichtig, weil sie den über den Blutbefund erhobenen Verdacht bestätigt und letzten Endes erlaubt, den Schweregrad der Erkrankung einzugrenzen. Für die Dünndarmbiopsie wird im Rahmen einer Magenspiegelung eine winzige Kamera samt Zange durch den Mund über die Speiseröhre und den Magen bis in den Dünndarm geführt. Weil sich die Zöliakie im Dünndarm abspielt, entnimmt man dann im oberen Dünndarm Biopsien, also kleine Gewebeproben. Und diese Gewebeproben werden unter dem Mikroskop untersucht. Im Rahmen dieser Untersuchung kann man zum einen den Schweregrad feststellen und zum anderen auch, ob schon Gewebe zugrunde gegangen ist. Der gesunde Dünndarm hat ja sehr viele Zotten. Wenn eine Zöliakie aber bereits lange besteht oder schwer genug ist, dann gehen diese winzigen Ausstülpungen kaputt. Neben diesen Ausstülpungen hat die gesunde Dünndarmschleimhaut auch tiefe Täler, die Krypten genannt werden. Und auch diese Täler gehen bei der Zöliakie kaputt. Mithilfe der Dünndarmbiopsie erhält man also die Bestätigung der Diagnose und kann den Schweregrad bestimmen. Damit ist die Dünndarmbiopsie auch ein exzellenter Parameter, um im Krankheitsverlauf festzustellen, ob die Therapie - also die glutenfreie Diät - streng eingehalten wird oder nicht. Denn manche Patientinnen und Patienten haben das Gefühl, sie ernähren sich glutenfrei und haben trotzdem weiterhin Beschwerden. Und dann möchte man überprüfen, ob sich doch Gluten in der Ernährung versteckt oder ob die Beschwerden von etwas anderem herrühren. Die Dünndarmbiopsie erlaubt hier sozusagen einen Check, der im zwei bis drei Jahresrhythmus immer mal wieder durchgeführt werden kann. Das ist für Betroffene deshalb wichtig, weil eine Zöliakie mit schwerwiegenden Erkrankungen einhergehen kann, wenn die Ernährung nicht konsequent glutenfrei ist.
Welche Laborparameter können zur Diagnose einer Weizenallergie untersucht werden?
Die Weizenallergie ist ein anderes Krankheitsbild im Rahmen der getreideabhängigen Beschwerden. Wenn nach dem Konsum von Weizen Symptome auftreten, werden zur Diagnose im Rahmen einer Blutuntersuchung gezielt Antikörper gegen Weizen im Blut bestimmt. In diesem Zusammenhang kommt oftmals die Frage auf, ob es Sinn macht, einfach mal eine pauschale Antikörper-Testung auf alles zu machen, was es in der Ernährung so gibt. Das kann die entsprechende medizinische Leitlinie sehr gut beantworten – und die rät davon ab und auch ich rate streng davon ab. Ein solches Vorgehen führt nur dazu, dass man sinnlos seine Ernährung einschränkt, ohne dass die entsprechenden Lebensmittel überhaupt Auslöser der Reaktion sein müssen. Vielmehr sollte die Diagnostik hinsichtlich einer solchen Allergie immer in der Form verlaufen, dass die oder der Betroffene schildert, im Zusammenhang mit welchen Lebensmitteln Beschwerden auftreten. Im Falle der Weizenallergie braucht es zunächst ein Verdachtsmoment dahingehend, dass dem Betroffenen aufgefallen ist, dass Beschwerden immer auftreten oder häufig auftreten, wenn getreidehaltige Produkte gegessen wurden. Die Patientin oder der Patient schildert also ganz klar einen möglichen Zusammenhang – und dann kann man im Sinne einer Bestätigung einen Bluttest durchführen, um spezifische Antikörper nachzuweisen und damit die Diagnose einer Allergie zu sichern. Bei Allergien braucht man also gar nicht viel Labor, weil sie medizinisch gesehen sehr einfach zu diagnostizieren sind.
Wie kommt der Arzt zur Diagnose Gluten-/Weizensensitivität?
Zunächst gilt es zu verstehen, was eine Glutensensitivität oder eine Weizensensitivität überhaupt ist. Diese Begriffe implizieren bereits, dass es sich hierbei nicht um eine Autoimmunerkrankung und auch nicht um eine allergische Erkrankung handelt. Ich werde hier also weder Autoimmun-Antikörper noch Allergie-Antikörper finden. Es handelt sich um eine Sensitivität, also eine Überempfindlichkeit – und die zeigt sich individuell sehr unterschiedlich. Denn ich kann auf alles empfindlich sein. Und so fällt eben manchen Menschen auf, dass sie immer, wenn sie getreidehaltige Produkte essen, Beschwerden entwickeln. Hier könnte dann beispielsweise eine Weizensensitivität vorliegen. Innerhalb der Weizensensitivität kann man allerdings noch weiter unterscheiden, weil im Weizen unterschiedlichste Bestandteile enthalten sind – und einer davon ist das Gluten. Wenn ich nur gegen Gluten sensitiv bin, heißt mein Krankheitsbild deshalb Glutensensitivität. Wenn ich auf andere Proteine wie zum Beispiel die alpha-Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) reagiere, dann würde das zur Weizensensitivität gezählt werden. Ich kann aber auch gegenüber den FODMAP-Bestandteilen im Getreide sensitiv sein. FODMAPs sind spezielle Kohlehydrate, die von manchen Menschen nicht vertragen werden. Hier ist der Overlap zum Reizdarm Syndrom sehr groß. Wie diagnostiziert man nun eine solche Sensitivität? Das ist gar nicht so einfach, weil es keine spezifischen Laborparameter dafür gibt. Hier muss die Patientin oder der Patient mitarbeiten.
Zunächst einmal bedeutet das, zu erkennen, dass ich immer, wenn ich Getreide esse, Beschwerden habe. Nur wenn dieser Zusammenhang besteht, macht es überhaupt Sinn über eine Gluten- oder Weizensensitivität nachzudenken. Aber wenn dieser Zusammenhang da ist, dann sagen die medizinischen Leitlinien eindeutig, dass der Weg zur Diagnose darüberführe, vier Wochen lang eben diese Lebensmittel zu meiden. Entweder konsequent alle getreide- oder weizenhaltigen Produkte oder wenn man es spezifischer möchte, konsequent alle glutenhaltigen Produkte. Und wenn die Beschwerden dann nahezu verschwunden sind oder sich massiv gebessert haben, dann würde man einen Bestätigungstest durchführen. Und dieser Bestätigungstest erfolgt einfach dadurch, dass man für zwei Wochen eben diese Produkte wieder vermehrt zu sich nimmt und beobachtet, ob die Beschwerden wiederkommen. Dann wäre es tatsächlich eine Sensitivität, die medizinisch gesichert ist – und dann sollte man versuchen, entsprechende Lebensmittel zu meiden. Dieses Vermeiden hat medizinisch allerdings einen wichtigen Unterschied zu der Diät wie sie bei einer Zöliakie oder Allergie eingehalten werden muss. Denn bei einer Zöliakie muss man streng selbst auf Spuren von Gluten achten und bei einer Weizenallergie streng selbst auf Spuren von Weizen. Bei einer Glutensensitivität oder Weizensensitivität sollte man den Verzehr nur so stark wie möglich einschränken – auf Spuren muss man aber nicht achten. Insofern ist die Ernährung im Falle einer Sensitivität deutlich einfacher zu gestalten als bei einer Zöliakie oder Weizenallergie.